Studie: Handlungsbedarf durch beschleunigten Kohleausstieg
Hintergrund
Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ („WSB-Kommission“) hat am 26. Januar 2019 ihre Empfehlungen zum Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland bis spätestens 2038 vorgelegt. Vor diesem Hintergrund haben die IHKs Aachen, Köln und Mittlerer Niederrhein Frontier Economics beauftragt, eine Kurzbewertung der mit dem Abschlussbericht der WSB-Kommission verbundenen energiepolitischen Fragestellungen und dem daraus abzuleitenden politischen Handlungsbedarf vorzunehmen.
Der Abschlussbericht der WSB-Kommission ist im Kern eine energiepolitische Weichenstellung. Neben diesem Aspekt beinhaltet der Bericht viele Maßnahmen und Empfehlungen, um den anstehenden Strukturwandel in den Braunkohlerevieren zu meistern. Ziel der Kurzstudie ist es, die Diskussion wieder stärker auf die möglichen Auswirkungen der energiepolitischen Richtungsentscheidung für NRW zu lenken.
Um die Auswirkungen des beschleunigten Kohleausstiegs abzuschätzen, wurden in der Studie zwei Ausstiegsszenarien miteinander verglichen, die beide einen langsameren Ausstiegspfad als den nun vorgeschlagenen Ausstiegspfad der WSB-Kommission vorsehen (Szenario 1: Europäisches Emissionshandelssystem, Szenario 2: Sektorziel Energiewirtschaft Klimaschutzplan 2050). Demzufolge würden die tatsächlichen Auswirkungen bis 2040 – unter der Annahme, dass andere Faktoren unverändert bleiben – tendenziell stärker ausfallen als die in der Studie dargestellten Auswirkungen.
Nachfolgend ist die Berechnungsgrundlage für die quantitativen Effekte auf Strompreis, Beschäftigung und Wertschöpfung dargestellt, welche in der Studie beschrieben werden.
Berechnungsgrundlage
Die quantitativen Effekte auf Strompreis, Beschäftigung und Wertschöpfung, die in der Studie dargestellt werden, basieren auf einer Studie von Frontier Economics et al. aus dem Jahr 2017, in welcher die Auswirkungen eines Kohleausstiegs durch Forcierung des Erreichens der Sektorenziele für die Energiewirtschaft im Klimaschutzplans 2050 der Bundesregierung analysiert wurden. Eine eigenständige quantitative Analyse des Ausstiegspfads gemäß dem Abschlussbericht der WSB-Kommission ist nicht Gegenstand der Studie. Insofern werden in der Studie die grundlegenden Tendenzen und Wirkweisen verdeutlicht, die im Rheinischen Revier zu erwarten sind.
Kernaussagen der Studie
NRW mit doppelter Herausforderung
Bis zum Jahr 2030 sollen laut WSB-Kommission rund 50 % der Braunkohlekraftwerks-Kapazität stillgelegt werden. Aufgrund der Altersstruktur der rheinischen Kraftwerke ist zu erwarten, dass bereits in den kommenden Jahren Kraftwerksstillegungen im Rheinischen Revier erfolgen. NRW und in erster Linie das Rheinische Revier stehen durch die Ergebnisse der WSB-Kommission vor einer speziellen Herausforderung. Neben der hier ansässigen Energiewirtschaft, mit rund 9.000 direkt in der Braunkohlewirtschaft Beschäftigen, sind auch energieintensive Industrien überdurchschnittlich vertreten (Anteil der energieintensiven Industrien an der industriellen Wertschöpfung im Rheinischen Revier: 29 %; Bundesdurchschnitt: 15 %). Somit müssen zum einen die Einschnitte in der Energiewirtschaft sowie in den verflochtenen Wertschöpfungsketten moderiert und kompensiert werden. Zum anderen müssen potentiell negative Auswirkungen durch Versorgungssicherheitsrisiken oder Strompreissteigerungen für den hohen Besatz energieintensiver Betriebe in Grenzen gehalten werden. Sofern es nicht gelingt, Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähige Energiepreise zu sichern, drohen weitere Wertschöpfungslücken in der Region zu entstehen.
Die konkreten Strompreisauswirkungen des von der WSB-Kommission empfohlenen Kohleausstiegspfades sind bisher nicht hinreichend analysiert. Mit Hilfe des Klimaschutzszenarios sowie des Referenzszenarios lassen sich Effekte berechnen, die tendenziell jedoch schwächer ausfallen werden, als beim vorgeschlagenen Szenario der WSB-Kommission. Der Anstieg des Großhandelspreises würde im Jahr 2025 (Jahr mit stärksten Auswirkungen) bis zu 9,6 €/MWh betragen.
Die Auswirkungen eines beschleunigten Kohleausstiegs auf Produktion, Beschäftigung und Wertschöpfung in NRW im Jahr 2025 sind nachfolgend abgebildet. Hierzu wurde das Szenario Klimaschutzplan mit dem Referenzszenario verglichen, bei dem nur der europäische Emissionshandel greift.
In Bezug auf die Versorgungssicherheit, lässt sich festhalten, dass Braun- und Steinkohlekraftwerke im Jahr 2017 etwa 40 % der gesicherten Stromerzeugungsleistung in Deutschland gestellt haben. Bis 2023 werden dem Stromsystem in Deutschland durch die von der WSB-Kommission empfohlenen Stilllegungen von Kohlekraftwerken, in Kombination mit den durch den beschlossenen Kernenergieausstieg induzierten Kraftwerksstilllegungen, über 22 % der in 2017 noch verfügbaren gesicherten Leistung entzogen. Bis 2030 werden dem System durch weitere Stilllegungen von Kohlekraftwerken weitere rund 12 % der gesicherten Leistung nicht mehr zur Verfügung stehen. Dies stellt die bisher sehr hohe Versorgungssicherheit vor eine enorme Herausforderung. Allgemein ist eine Aussage über das zukünftige Niveau Versorgungssicherheit nur bedingt möglich, da diese von vielen unvorhersehbaren Einflussfaktoren abhängt. Hierzu zählt beispielsweise in welchem Umfang Ersatzkapazitäten, wie Gaskraftwerke, entstehen werden.
Kern ist eine energiewirtschaftliche Fragestellung
Vor dem Hintergrund der energiewirtschaftlichen Auswirkungen (Strompreisanstieg / Versorgungssicherheit) des Ausstiegs aus der Kohleverstromung sollte der Kern der Aufgabe stets die energiepolitischen Fragestellungen sein. Diese sind aufgrund der öffentlichen Diskussion über strukturpolitische Maßnahmen in den Hintergrund gerückt. Grundsätzlich gilt jedoch, je besser die energiewirtschaftlichen Fragestellungen geklärt werden und Strompreise und Versorgungssicherheit stabil gehalten werden können, desto geringer werden die Auswirkungen für Beschäftigung und Wertschöpfung in der Region tendenziell ausfallen. Deshalb gilt es, zunächst die durch den beschleunigten Kohleausstieg entstehenden energiepolitischen und energiewirtschaftlichen Fragen zu lösen.
Konkret werden in der Studie folgende Maßnahmenvorschläge gemacht:
- Monitoring der Versorgungssicherheit: Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung der Versorgungssicherheit für unsere Unternehmen, sollte ein sorgfältiges Versorgungssicherheitsmonitoring installiert werden. Dies ist eine „no-regret-Maßnahme“.
- Stromerzeugung
- Schaffung von Ersatzkapazitäten
- Ausbau der Erneuerbaren Energien an bestehenden Kohlestandorten
- Schaffung von Rahmenbedingungen für Investitionen in Gaskraftwerke im Reheinischen Revier
- Umstellung von Kohlekraftwerken auf Erdgas / erneuerbares Gas
- Netze, Speicher, Sektorenkopplung
- Weiterer Ausbau des Netzes sowie Lösungen zum intelligenten Netzbetrieb
- Ausbau der Sektorenkopplung
- Lösung für die Integration von Power-to-X-Anlagen sowie Anreizsysteme zum Erlangen der Marktreife
- Umfassende Reform der Entgelt-, Umlagen- und Abgabensysteme
- Nutzung des Erdgasnetzes zur Speicherung von Wasserstoff sowie erneuerbarem Gas
- Stromnachfrage
- Durch die Umstellung von einer vormals primär konventionellen Stromerzeugung mit substanziellen Brennstoffkosten zu erneuerbarer Stromerzeugung mit vernachlässigbaren variablen Kosten werden grundsätzlich neue Wertschöpfungsoptionen für Industriebetriebe geschaffen.
- Durch eine Flexibilisierung ihrer Stromnachfrage können Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende leisten und Stromspitzen vermeiden.
- Dies ist heute aber nur in Einzelfällen wirtschaftlich
- Es sollten daher Anreizsysteme geschaffen werden sowie eine umfassende Reform der Entgelt-, Umlagen- und Abgabensysteme erfolgen.
Wenn es nicht gelingt, die energiewirtschaftlichen Bedingungen so zu erhalten wie bisher, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es durch den beschleunigten Kohleausstieg zukünftig zu Wertschöpfungslücken in der Region kommen wird. Für diese wären dann weitere strukturpolitische Maßnahmen notwendig.
NRW mit guten Voraussetzungen für Energiewende
NRW bringt für die Umsetzung der vorgestellten Maßnahmen gute Voraussetzungen mit. Es kann sein Stärken nutzen und einen erheblichen Beitrag zum Gelingen der Energiewende und somit zur Vermeidung von Strukturbrüchen leisten. Hierzu müssen die sich ergebenden Chancen in der Region entschlossen und effektiv genutzt werden. Zu den zentralen Besonderheiten des Landes NRW und im Speziellen des Rheinischen Reviers zählen in diesem Zusammenhang:
- Existenz einer umfangreichen energiewirtschaftlichen Infrastruktur
- Vielzahl an Kraftwerksstandorten
- Umfassende Strom-, Gas- und Wärmenetze
- NRW hat eine starke Wirtschaftsstruktur mit vielen energieintensiven Industrien
- Zum Gelingen der Energiewende wird in Zukunft auch die Nachfrageseite mehr in den Prozess integriert werden. Neben der besonderen Verwundbarkeit unserer Region bestehen jedoch, bspw. im Hinblick auf das Thema Flexibilisierung, auch Chancen das neue System wertschöpfungserhöhend zu nutzen.
- Hohe Verfügbarkeit gut ausgebildeter Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft sowie in den verbundenen Branchen
- Das Rheinische Revier verfügt über eine sehr gute Hochschul- und Forschungslandschaft
- Eine vergleichsweise stark institutionalisierte Begleitung und Unterstützung des Strukturwandels in der Region
Das Rheinische Revier könnte sich auf Grundlage der Voraussetzungen vor Ort als Energierevier der Zukunft positionieren und ein Modellstandort im künftigen Energiesystem werden, auf dessen Erfahrungen zukünftig auch in anderen Regionen aufgebaut werden könnte.
Fazit
Die Studie zeigt, dass NRW und das Rheinische Revier durch die Empfehlungen der WSB-Kommission im Gegensatz zu den anderen Kohleregionen vor spezielle Herausforderungen gestellt werden. Diese Herausforderungen lassen sich reduzieren, wenn es gelingt, die mit dem Kohleausstieg einhergehenden energiewirtschaftlichen Aufgaben zu lösen. Durch die vorhandenen Stärken im Bereich der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie hat das Rheinische Revier die Chance eine Blaupause für die Energiewende zu kreieren und den vermeintlichen Nachteil in einen Vorteil zu wandeln. Hierzu ist es notwendig den Fokus der aktuellen Strukturwandel-Debatte wieder auf die energiewirtschaftlichen Fragen zu richten. Trotz der identifizierten Chancen, die sich für die Region im Rahmen der Energiewende nutzen ließen, lässt sich nicht ausschließen, dass es durch den beschleunigten Kohleausstieg zukünftig zu Wertschöpfungslücken in der Region kommen wird. Somit sind neben den vorangehend diskutierten energiewirtschaftlichen Maßnahmen, ergänzend auch strukturpolitische Maßnahmen vorzusehen.