IHK-Gutachten zum Haushalt Neuss

IHK-Gutachten zum Haushalt Neuss
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Stand: 06.12.2021

Obwohl Neuss nach wie vor über eine überdurchschnittlich starke Einnahmebasis verfügt, läuft die Stadt Gefahr, schon bald ein Haushaltssicherungskonzept (HSK) erstellen zu müssen. Dies ist eines der wesentlichen Ergebnisse einer Analyse des Haushaltsplanentwurfs der Stadt Neuss durch Prof. Dr. Harald Schoelen. Der Finanzwissenschaftler von der Hochschule HS Niederrhein war von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein beauftragt worden war. IHK-Vizepräsident Christoph Buchbender appelliert in einer Stellungnahme an Bürgermeister Reiner Breuer, dass die Stadt bereits jetzt ein Aufwandskonsolidierungskonzept entwickeln sollte. „Der Wirtschaftsstandort Neuss ist für die gesamte Region Mittlerer Niederrhein von großer Bedeutung“, betont Buchbender. „Ein wichtiger Faktor für die Leistungsfähigkeit eines Standorts ist ein zukunftsfähiger Haushalt.“

Die IHK beurteilt die Lage des Neusser Haushalts als kritisch. Für das Jahr 2022 wird mit einem Minus von 38 Millionen Euro gerechnet. Auch in den folgenden drei Jahren bleibt das Minus nur leicht unter dieser Marke. Schoelens Analyse zeigt, dass die Notwendigkeit eines HSK schon bei der Aufstellung des Haushaltsplanentwurfs für das Jahr 2024 entstehen könnte, wenn nicht gegengesteuert wird. „Selbst, wenn die negativen Jahresergebnisse ab 2026 auf dem Durchschnitt der Jahre von 2022 bis 2025 gehalten werden könnten, wäre der hierdurch einsetzende Eigenkapital-Verzehr in den nachfolgenden Planungsjahren erheblich“, so Schoelen. Infolgedessen sei ab dem Haushaltplanentwurf 2024 ein Haushaltssicherungskonzept erforderlich, weil in diesem Szenario in zwei aufeinanderfolgenden Jahren im Finanzplanungszeitraum ein Verzehr der Allgemeinen Rücklage von mehr als 5 Prozent dargestellt werden müsste.

Aus Sicht der IHK liegt dies jedoch nicht an der Einnahmenseite. Neuss gehörte auch 2020 zu den 25 Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen mit der höchsten Steuereinnahmekraft je Einwohner. Sie lag in Neuss bei 1.759 Euro je Einwohner. Von den Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern ist dieser Wert nur in Düsseldorf, Leverkusen, Köln und Münster im Jahr 2020 höher gewesen. Mit 865 Euro je Einwohner ist die Realsteueraufbringungskraft der Gewerbesteuer in Neuss so hoch wie in keiner anderen Stadt oder Gemeinde am Mittleren Niederrhein. „Das zeigt, wie stark die Neusser Wirtschaft ist und wie viel sie zu den Einnahmen der Stadt beiträgt“, erklärt Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der IHK. „Deswegen hätten wir auch kein Verständnis dafür, wenn die Politik nun an der Steuerschraube drehen und etwa die Grundsteuer erhöhen würde.“ Eine solche Maßnahme sieht die Haushaltssatzung zwar nicht vor, wurde aber bereits in der Öffentlichkeit diskutiert.

Mit Blick auf die zukünftige Finanzplanung der Stadt erscheint es aus IHK-Sicht zudem plausibel, dass das Vorkrisenniveau bei der Gewerbesteuer erst im Jahr 2024 – wie derzeit im Haushaltsplanentwurf ausgewiesen – erreicht werden kann. Dazu kommt: Die Corona-Pandemie belastet nach wie vor die Neusser Wirtschaft. „Viele Betriebe werden auch in diesem Winter durch die pandemiebedingten Restriktionen und die Kontaktreduzierung Umsatzeinbußen hinnehmen müssen“, erläutert IHK-Vizepräsident Buchbender. „Die Industrie und Teile des Großhandels bereiten zudem die Knappheit von Rohstoffen und gestiegene Preise für Vorprodukte große Sorgen.“

Allerdings ist auch die Pandemie ist keine Erklärung für die kritische Lage des Neusser Haushalts. Schließlich können die Pandemie-bedingten Mehraufwendungen und Mindereinnahmen bilanziell isoliert werden. Ohne die Möglichkeit der bilanziellen Isolierung läge das jährliche Minus in den Jahren bis 2024 bei 57 Millionen (2024) bis 87 Millionen (2022) Euro. „Die sogenannte Bilanzhilfe ist keine Zuwendung. Die kumulierten Beträge müssen entweder einmalig im Jahr 2025 erfolgsneutral gegen das Eigenkapital ausgebucht oder über einen Zeitraum von bis zu 50 Jahren ganz oder in Anteilen bilanziell abgeschrieben werden. Der Neusser Haushalt der Zukunft wird so auf jeden Fall erheblich belastet“, so Schoelen.

Der Finanzwissenschaftler fordert in seinem Gutachten, dass Neuss jetzt mit einem Aufwandskonsolidierungskonzept gegensteuern sollte.
„Es drohen offene Flanken“, warnt Schoelen. So steht unter anderem auf der einen Seite die Entwicklung der Sozialtransferaufwendungen, die in ihrer Dynamik auch unter dem Eindruck der Pandemie kurzfristig nicht zu bremsen sein werden. Andererseits besteht bei den nur leicht dynamisierten Personalkosten die Gefahr, dass die Ansätze zu niedrig bemessen sind und nachgesteuert werden muss – dies auch mit Blick auf die Inflationsentwicklung und zu erwartende Tariflohnsteigerungen. „Das Aufwandskonsolidierungskonzept sollte dann die Daseinsvorsorge im engeren Sinne in den Mittelpunkt stellen und das Defizit im Ordentlichen Ergebnis bis 2025 strukturell reduzieren, im Optimum als ersten Zielwert halbieren“, erklärt Schoelen.