"Die Stadt muss gegensteuern"
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Stand: 02.12.2022
Die Stadt Neuss lebt in der Eigenkapitalentwicklung weiter von der Substanz der Vergangenheit und auf Kosten der Entwicklungsmöglichkeiten der nächsten Generationen. Dies ist eines der wesentlichen Ergebnisse einer Analyse des Haushaltsplanentwurfs der Stadt Neuss durch Prof. Dr. Harald Schoelen. Der Finanzwissenschaftler von der Hochschule Niederrhein war von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein beauftragt worden. Die IHK begutachtet die kommunalen Haushalte in regelmäßigen Abständen, da stabile Kommunalfinanzen einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingen vor Ort haben. IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz erklärt in einer Stellungnahme an Bürgermeister Reiner Breuer, dass die Stadt ein freiwilliges Haushaltssicherungskonzept entwickeln sollte. „Dies muss bei den Ausgaben ansetzen. Neuss ist nach wie vor ein Standort mit hohen Steuereinnahmen“, so Steinmetz.
Die IHK beurteilt die Lage des Neusser Haushalts kritisch. Schoelens Analyse zeigt, dass der Haushalt hoch defizitär bleibt. Der Durchschnitt der Jahresergebnisse im mittelfristigen Finanzplanungszeitraum liegt bei -40,3 Millionen Euro. Der Aufwanddeckungsgrad bleibt unter Berücksichtigung des sogenannten globalen Minderaufwands zwischen 86,8 Prozent im Jahr 2023 und 92,7 Prozent 2026. Der Finanzwissenschaftler folgert: „Ohne die Sonderausschüttung im Jahr 2025 würde die Stadt Neuss nach vorliegendem Zahlenwerk in die Haushaltssicherung rutschen.“
Zudem sind die haushaltspolitischen Risiken aus Sicht der IHK Mittlerer Niederrhein immens. „Unser aktueller Konjunkturbericht zeigt, wie stark die Erwartungen der Betriebe eingebrochen sind“, erklärt IHK-Vizepräsident Prof. Dr. Joerg Dederichs. „Es ist somit mit weiteren Mindererträgen bei der Gewerbesteuer zu rechnen. Insbesondere die in Neuss stark vertretene energieintensive Industrie – zum Beispiel die Ernährungsindustrie und die Aluminiumproduktion – steht vor großen Herausforderungen.“
Diese Mindererträge dürfen zwar als pandemie- und kriegsbedingte Mindererträge bilanziell isoliert werden, IHK und auch Gutachter Schoelen weisen aber deutlich darauf hin, dass dies keine Finanzhilfe sei, sondern lediglich eine Bilanzhilfe. „Sie führt dazu, dass Kommunen einem eigentlich notwendigen HSK entgehen können“, erläutert Steinmetz. „Es sollte jedoch klar sein, dass sie dies nicht von der Notwendigkeit entbindet, den Haushalt zu konsolidieren.“ Dieses freiwillige Haushaltskonsolidierungskonzept muss nach Sicht der IHK auf der Aufwandsseite aufsetzen. „Die Stadt Neuss hat kein Ertragsproblem“, betont auch Schoelen.
Im Zuge der Haushaltsberatungen wurde zudem der Vorschlag einer Fraktion zur deutlichen Verringerung des Gewerbesteuerhebesatzes diskutiert. „Wir begrüßen die Diskussion. Der Gewerbesteuerhebesatz in Neuss ist – wie in der gesamten Region – zu hoch“, erklärt Steinmetz und verweist auf Beispiele in der Region, die zeigen, dass eine deutliche Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes zu höheren Gewerbesteuereinnahmen führen kann. „Beachtet werden sollte aber auch, dass die kurzfristige Finanzierung einer Gewerbesteuersenkung in anderen Kommunen durch avisierte Unternehmensneuansiedlungen absehbar war. Dies wäre ebenfalls ein notwendiges Kriterium für eine deutliche, gegebenenfalls auch schrittweise, Gewerbesteuersenkung in der Stadt Neuss“, so Steinmetz.
Aus Sicht der IHK ist eine solche Maßnahme erfolgsversprechend, es müssten jedoch hinreichende Gewerbe- und Büroflächen für ansiedlungsinteressierte Unternehmen zur Verfügung stehen, damit die Senkung kein Loch in den Haushalt reißt, das die Stadt in die Haushaltssicherung führt. Dann habe die Stadt keine Mittel mehr für die notwendigen Weiterentwicklungen diverserer wirtschaftlicher Standortfaktoren. „Deswegen möchten wir angesichts des Vorstoßes zur Senkung der Gewerbesteuer unsere Forderung wiederholen, neue Gewerbeflächen in Neuss zu entwickeln“, appelliert der IHK-Hauptgeschäftsführer. „Diese Maßnahme würde sich durch neue Gewerbesteuererträge in jedem Fall positiv auf den Haushalt auswirken.“ Wenn die Senkung des Hebesatzes entsprechend gut vorbereitet sei, könne sie in Kombination mit zusätzlichen Gewerbeflächen auch langfristig zum Erfolg in Neuss werden.