Die strukturelle Lücke wächst absehbar
Stand: 04.12.2023
Die Haushaltssituation der Stadt Neuss ist weiterhin besorgniserregend. Auf der Aufwandseite schlagen nachhaltige Verschlechterungen absehbar insbesondere im Sozial- und Jugendbereich zu Buche. Das bereits bestehende strukturelle Ergebnisdefizit droht weiter zuzunehmen. Die Gefahr, dass die Stadt innerhalb des mittelfristigen Finanzplanungszeitraums in die Haushaltssicherung gerät, ist trotz der für 2023 zu erwartenden Gewerbesteuermehrerträge nicht vom Tisch. Das ist das Ergebnis einer Analyse von Prof. Dr. Harald Schoelen. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein hatte den Finanzwissenschaftler der Hochschule Niederrhein damit beauftragt. „Wir begrüßen, dass die Stadt im Frühjahr ein Haushaltskonsolidierungskonzept vorgestellt hat“, erklärt IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz in einer Stellungnahme an Bürgermeister Reiner Breuer. „Einiges wird bereits umgesetzt, aber gerade bei so wichtigen Punkten wie der Neuausweisung von Gewerbeflächen und der interkommunalen Kooperation erwarten wir im kommenden Jahr Ergebnisse.“
Die Zahlen des im September veröffentlichten Haushaltsplanentwurfs sprechen für sich: Das Gesamtergebnis unter Ansatz eines globalen Minderaufwands bleibt im mittelfristigen Finanzplanungszeitraum (MFZ) im zweistelligen Millionenbetrag negativ. Für das Jahr 2024 sah der Haushaltsplanentwurf zunächst ein Minus von mehr als 60 Millionen Euro vor, mittlerweile beträgt das Minus aufgrund von Aktualisierungen nur noch rund 50 Millionen Euro. „Die Stadt muss noch mehr als bisher schon auf Aufgabenkritik und Konsolidierung setzen, wenn der 5-prozentige Verbrauch an Allgemeiner Rücklage zweimal in Folge vermieden werden soll. Gelingt dies nicht, dann droht nach gegenwärtigem Stand das Abrutschen in die Haushaltssicherung. Das 3. NKF-Weiterentwicklungsgesetz wird hierzu aber neue Regelungen bestimmen“, so der Finanzwissenschaftler Schoelen.
Einzig die Ertragssituation entwickelt sich positiv. „Die Neusser Wirtschaft sorgt mit ihren Gewerbesteuerzahlungen dafür, dass die Stadt ihre finanzielle Autonomie behält“, betont Steinmetz. „Dass es in diesem Jahr– wie im Finanzausschuss im Oktober dargelegt – gelingen wird, mehr als 230 Millionen Euro an Gewerbesteuererträgen einzunehmen, ist angesichts der allgemein schwierigen Lage der Wirtschaft eine sehr gute Nachricht.“
Die Ende November veröffentlichte IHK-Standortanalyse hatte abermals aufgezeigt, dass die Stadt Neuss gewerbesteuerstark ist. Angesichts der lahmenden Konjunktur hält es die IHK allerdings für richtig, dass die Prognosen der Kämmerei für die kommenden Jahre zurückhaltend sind. Insbesondere die in Neuss überdurchschnittlich starke energieintensive Industrie, meldet zurzeit eine rückläufige Umsatzentwicklung. „Zwar weist die Stadt Neuss einen guten Branchenmix aus. Darunter sind auch Branchen, die derzeit gute Geschäfte machen“, so Steinmetz. „Dennoch könnte sich die lahmende Konjunktur mittelfristig auch auf die Gewerbesteuererträge der Stadt Neuss auswirken.“
Die IHK begrüßt es, dass die Stadtverwaltung im Frühjahr ein freiwilliges Haushaltskonsolidierungskonzept veröffentlicht hat. „Die Aufwendungen, gerade im Sozial- und Jugendbereich und sehr wahrscheinlich auch im Personalbereich, laufen der Stadt dynamischer davon, als bisherige Konsolidierungsanstrengungen, Aufgabenkritik und globaler Minderaufwand dämpfend wirken können“, erklärt Schoelen in seinem Gutachten. „Die zu würdigenden Eigenbestrebungen der Stadt sollten daher deutlich intensiviert werden.“ Der aktuell veröffentlichte Umsetzungsstand zeigt zudem, dass auf der Aufwandsseite bereits Kürzungen von freiwilligen Leistungen vollzogen wurden. Bei wichtigen aufwandsseitigen Konsolidierungsmaßnahmen, wie zum Beispiel der Kostenreduktion durch verstärkte interkommunale Kooperation, sind allerdings noch zahlreiche Prüfaufträge unbearbeitet. „Die Vorteile interkommunaler Kooperation liegen auf dem Tisch. „Schließlich haben viele Kommunen im Rhein-Kreis Neuss zurzeit Schwierigkeiten bei der Haushaltsplanung“, so Steinmetz. „Hier wünschen wir uns daher ein noch ambitionierteres Vorgehen.“
Das gilt auch für das Thema Gewerbeflächen. Die IHK hält es für richtig, dass die Stadt im Frühjahr angekündigt hat, 100 Hektar Gewerbeflächen entwickeln und insbesondere steuerstarke Unternehmen gewinnen zu wollen. „Das fordern wir seit vielen Jahren. Die hohe Steuereinnahmekraft und die gute Beschäftigungslage in der Stadt sind auch darauf zurückzuführen, dass die Neuss in der Vergangenheit noch Flächen für Betriebe bereitstellen konnte“, erklärt der IHK-Hauptgeschäftsführer. Der Ankündigung, dass man steuerstarke Unternehmen für Neuss gewinnen möchte, müssten nun nach Ansicht des IHK-Hauptgeschäftsführers auch Taten folgen. „Im Jahr 2024 erwarten wir konkrete Ergebnisse“, so Steinmetz.