Studie: Der Mittlere Niederrhein und Europa 2024

Studie: Der Mittlere Niederrhein und Europa 2024
© Grecaud Paul / Adobe Stock

Vor der Europawahl am 9. Juni hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein ihre Mitgliedsunternehmen befragt: Welche Bedeutung hat die EU für die Unternehmen am Niederrhein? Welche Rolle spielt der Binnenmarkt für ihr Geschäft? Wie beurteilen sie die Regulierungen durch die EU? Gut 400 Betriebe aus der Region haben sich daran beteiligt. Die Ergebnisse der Kurzstudie „Der Mittlere Niederrhein und Europa“ finden Sie hier.

 

Die Bedeutung des Binnenmarkts ist weiterhin groß

Die senkrechten Markierungen stellen die Werte aus 2019 dar.
Der europäische Binnenmarkt ist für die Unternehmen am Mittleren Niederrhein weiterhin äußerst wichtig. Gut jedes zweite sieht einen Vorteil oder einen großen Vorteil für den eigenen Betrieb, der sich durch den Binnenmarkt ergibt. Einen Nachteil sehen lediglich 0,6 Prozent. Im Vergleich zur Vorumfrage im Jahr 2019 hat die Euphorie der Unternehmen jedoch abgenommen. Der Anteil derjenigen, die einen großen Vorteil im Binnenmarkt sehen, ist um 13 Prozentpunkte gesunken.
Unter den exportierenden Unternehmen betrachten 77 Prozent den Binnenmarkt als vorteilhaft. Dementsprechend melden insbesondere die außenhandelsaffinen Branchen wie die Industrie und der Großhandel eine besonders große Bedeutung. Im Einzelhandel ist der Anteil der Unternehmen, der einen Vorteil im Binnenmarkt sieht, um 16 Punkte gestiegen. Keines der befragten Unternehmen sieht einen Nachteil. Beim Baugewerbe sehen 8 Prozent einen großen Vorteil im Binnenmarkt und genauso viele einen Vorteil. Kein Unternehmen gab an einen Nachteil an. 2019 überwog in der Branche noch der Anteil der Betriebe, die einen Nachteil sahen, gegenüber denen, die einen Vorteil im Binnenmarkt sahen. In allen Teilregionen des Mittleren Niederrheins liegt der Anteil der Unternehmen, die im Binnenmarkt einen direkten Vorteil für sich erkennen, bei mindestens 50 Prozent. Besonders hoch ist der Anteil am Standort Krefeld und im Kreis Viersen. Die Stadt Krefeld ist ein industrie- und besonders exportstarker Standort, und der Kreis Viersen liegt in der Grenzregion zum Nachbarland Niederlande. 
 

Ein großer Anteil des Umsatzes wird durch Kunden im EU-Ausland erzielt


Die senkrechten Markierungen stellen die Werte aus 2019 dar.

 

Die Gesamtwirtschaft am Mittleren Niederrhein generiert einen hohen Umsatzanteil mit Kunden aus dem EU-Ausland. Bei den Industriebetrieben machen nur 11 Prozent gar keinen Umsatz mit Kunden aus dem EU-Ausland, 44 Prozent dieser Unternehmen erwirtschaften sogar über 25 Prozent ihres Umsatzes im EU-Binnenmarkt. Auch beim Umsatz der Großhändler spielt das EU-Ausland eine wichtige Rolle. Nur 26 Prozent exportieren nicht ins EU-Ausland. Blickt man nur auf die außenhandelsaktiven Unternehmen, zeigt sich, dass lediglich 3 Prozent dieser Betriebe nicht ins EU-Ausland exportieren. Bei den exportierenden Betriebe liegt der Anteil der Unternehmen, die mehr als 25 Prozent ihres Umsatzes im EU-Ausland machen, bei 46 Prozent und damit um 7 Prozentpunkte höher als bei der Vorumfrage im Jahr 2019. 
 

Benelux-Länder am bedeutendsten für Exportgeschäfte

Für die niederrheinische Wirtschaft sind insbesondere die nahen Benelux-Länder der bedeutendste europäische Markt. Dies gaben 34 Prozent der Betriebe an. Mit deutlichem Abstand werden Frankreich (15 Prozent), Osteuropa (13 Prozent) und Südeuropa (9 Prozent) als bedeutendster Exportmarkt innerhalb Europas benannt. Für die Industrie ist die Bedeutung von Frankreich (21 Prozent) beinahe genauso groß wie die Bedeutung der Benelux-Staaten (26 Prozent). Bei den Dienstleistern und Großhändlern liegt die Bedeutung der Benelux-Länder mit 46 und 38 Prozent sogar über dem Gesamtergebnis.
 

Bedeutung der europäischen Regionen beim Import durchmischt

Bei den Importgeschäften zeigen sich weniger Unterschiede zwischen den Regionen. Die Benelux-Länder sind wie bei den Exportgeschäften die bedeutendste Region, gefolgt von Südeuropa (14 Prozent), Osteuropa (13 Prozent) sowie UK, Südosteuropa, Skandinavien und Frankreich (6 bzw. 5 Prozent). Die Benelux-Länder haben beim Import für die Dienstleister eine besonders große Bedeutung (48 Prozent).
 

Eurozone verliert an Attraktivität für Auslandsinvestitionen

Die hellgrauen Balken stellen die Werte aus 2019 dar.

 

Die vergangenen Konjunkturumfragen der IHK Mittlerer Niederrhein hatten gezeigt, dass die Unternehmen ihre Auslandsinvestitionen senken. Das EU-Ausland (insbesondere die Eurozone) ist die wichtigste Region für Auslandsinvestitionen. Allerdings war 2019 für 69 Prozent der Betriebe die Eurozone das bedeutendste Ziel, bei der aktuellen Umfrage geben dies nur noch 47 Prozent an.  Für die hiesige Industrie sinkt dieser Wert seit der Vorumfrage sogar um 35 Prozentpunkte. Mehr Unternehmen investieren nun in die Regionen Ost-Südosteuropa (ohne EU), Nordamerika, Afrika, Nah- und Mittelost und Asien/Pazifik (ohne China). Diese Entwicklung zeigt, dass es eine bedeutende Aufgabe für die Europäische Kommission in der kommenden Wahlperiode sein wird, die Wettbewerbsfähigkeit wieder zu verbessern. Das betrifft insbesondere das Thema „Energie- und Klimapolitik“. Insbesondere die energieintensiven Vorleistungsgüterproduzenten investieren mittlerweile verstärkt außerhalb der Eurozone.
 

Regulierungsdichte in der EU ist deutlich zu hoch

Die senkrechten Markierungen stellen die Werte aus 2019 dar.

 

Die Regulierungsdichte durch EU-Verordnungen wird von den Unternehmen als zu hoch angesehen. 86 Prozent der Betriebe empfinden die Regulierungsdichte als zu hoch oder viel zu hoch. Nur drei Prozent würden sich eine schärfere Regulierung durch EU-Verordnungen wünschen. Bei dieser Frage sind sich die Unternehmen aller Branchen einig. Die Unzufriedenheit hat seit 2019 in allen Branchen – außer dem Einzelhandel – zugenommen. Besonders stark ist der Anstieg im Großhandel. Dort ist der Anteil der diesbezüglich kritischen Unternehmen seit der Vorumfrage um 16 Prozentpunkte gestiegen und liegt mit 89 Prozent etwas höher als das Gesamtergebnis. Der Wunsch nach größerer Regulierung bei einigen wenigen Unternehmen ist das Resultat der Konkurrenzsituation mit Anbietern aus dem EU-Ausland, die mit weniger Regulierungen als in Deutschland arbeiten und somit einen Wettbewerbsvorteil haben. 
 

Fazit

Das Projekt Europäische Union ist eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Die Menschen und auch die Wirtschaft haben von mehr als 70 Jahren Frieden und Stabilität profitiert. Der gemeinsame Binnenmarkt hat den Austausch von Waren und Dienstleistungen in der Union enorm gepusht. Es gibt keine Zölle mehr. Viele Handelsbeschränkungen wurden abgeschafft. Unsere Umfrage zeigt, wie groß die Vorteile des Binnenmarkts sind. Dazu kommt der Euro: In 20 EU-Staaten fallen Umtauschgebühren und Wechselkursrisiken bei Transaktionen im Euroraum weg. All diese Errungenschaften, die uns heute als selbstverständlich erscheinen, tragen zum Erfolg unserer Wirtschaft bei. Als Grenzregion profitiert der Mittlere Niederrhein besonders vom Binnenmarkt. So gehören die nahen Benelux-Länder zu den bedeutendsten Exportmärkten.
Dennoch zeigt die Umfrage auch, dass insbesondere zwei Punkte in der nächsten EU-Wahlperiode angegangen werden müssen: Die Wettbewerbsfähigkeit muss gestärkt und Bürokratie muss abgebaut werden. Die IHK-Organisation hat deshalb 50 konkrete Vorschläge für den Abbau bestehender und die Vermeidung von zukünftiger EU-Bürokratie vorgelegt. So sorgt zum Beispiel die Datenschutzgrundverordnung bei den IHK-Mitgliedern auch mehrere Jahre nach ihrer Einführung weiterhin für große Unsicherheit. Der Mittelstand benötigt Ausnahmeregelungen, etwa hinsichtlich der Dokumentationspflichten.
Ein weiteres Problem betrifft die Erstellung der A1-Bescheinigung bei der Entsendung von Mitarbeitenden. Das sorgt für einen zusätzlichen Aufwand bei der Mitarbeitendenentsendung von meist mehr als 20 Minuten pro Beschäftigten. Der Binnenmarkt ist erst verwirklicht, wenn die Mitarbeiterentsendung unbürokratischer funktioniert. Und auch die komplexe Verpackungsrichtlinie, die von den EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich umgesetzt worden ist, verursacht hohe bürokratische Lasten und ist ein Handelshemmnis im EU-Binnenmarkt.
Zudem hat die IHK Mittlerer Niederrhein bereits im März 2023 die Europapolitischen Positionen in der Vollversammlung beschlossen. Sowohl die 50 Vorschläge für den Bürokratieabbau als auch die Europapolitischen Positionen finden Sie unter „Downloads“ beziehungsweise „Weiterführende Informationen“. 

 Erfahren Sie mehr über die priorisierten Themen für Unternehmer in dieser Wahlperiode: www.mittlerer-niederrhein.ihk.de/31751