Hintergrund der Debatte um Diesel-Fahrzeuge

Hintergrund der Debatte um Diesel-Fahrzeuge
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Hintergrund zur Luftqualität

Die Europäische Union hat für ihre Mitgliedstaaten in der Luftqualitätsrichtlinie (2008/50/EG) verbindliche Luftqualitätsziele festgelegt, um schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt zu verringern oder zu vermeiden. In Deutschland ist die Richtlinie im August 2010 im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und der 39. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (39. BImSchV) umgesetzt worden. Die EU-Luftqualitätsrichtlinie wird aktuell überarbeitet. 

Werden die gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte für Luftschafstoffe einschließlich der zulässigen Toleranzmargen überschritten, müssen die Städte Maßnahmen zur Verringerung der Luftbelastung ergreifen. Dazu gehört, dass die zuständige Behörde – in der Region Mittlerer Niederrhein ist es die Bezirksregierung Düsseldorf – ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt und in den betroffenen Städten Luftreinhaltepläne aufstellt, die die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegen. Als Hauptverursacher der Stickstoffdioxidwerte wird der Verkehr gesehen – und dabei vor allem Diesel-Fahrzeuge.

Überarbeitung der EU-Luftqualitätsrichtlinie

Im Jahr 2021 hat die WHO neue Grenzwerte für Luftschafstoffe vorgeschlagen. Die Grenzwerte liegen deutlich unter den Grenzwerten, die in den vergangenen 20 Jahren gültig waren. So soll beispielsweise der Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) nach dem Entwurf der neuen EU-Luftqualitätsrichtlinie bei 20 µg/m3 liegen (also halb so hoch wie der aktuell geltende Grenzwert). Auch der Grenzwert für Feinstaub soll von 40 auf 20 µg/m3 (für PM10) bzw. von 25 auf 10 µg/m3 (für PM2,5) gesenkt werden. 

Weitere Informationen des Umweltbundesamtes zur Überarbeitung der EU-Luftqualitätsrichtlinie gibt es hier

Luftreinhaltepläne

Wegen der in den Luftreinhalteplänen festgeschriebenen Maßnahmen hatte sich die Luftqualität kontinuierlich verbessert und die Grenzwerte konnten zuletzt an fast allen Messtationen in NRW eingehalten werden.

Die neuen Grenzwerte sollen 2030 eingehalten werden. Die Kommunen werden daher ihre Luftreinhaltepläne anpassen müssen. Dies wird vorrangig an den meisten Verkehrs-Hotspots in Deutschland, an denen die Grenzwerte auch in den Jahren 2018/2019 überschritten wurden, notwendig werden. Trotz der Ziele bei der Elektromobilität und Energiewende wird es vermutlich zukünftig wieder zu Grenzwertüberschreitungen kommen. Maßnahmen wie Fahrverbote könnten daher erneut an Bedeutung gewinnen.

Unter bestimmten Voraussetzungen können die Mitgliedstaaten eine Verschiebung der Frist auf 2035 beziehungsweise 2040 begründen. Nach unveröffentlichten Prognosen des Umweltbundesamtes (UBA) können die Grenzwerte im Jahr 2030 für NO2 an 12 Prozent und für PM2,5 an 18 Prozent der Messstationen in Deutschland nicht eingehalten werden.

Den Szenarien liegt als Annahme die Einhaltung aller im Koalitionsvertrag vorgesehenen Ziele zugrunde. Das UBA erwartet, dass die NO2-Werte an den meisten Stationen durch zusätzliche verkehrliche Maßnahmen (Elektrifizierung), die PM2,5-Grenzwerte jedoch selbst durch diese allein nicht erreicht werden können.

Aufgrund dieser Daten wird erwartet, dass die Kommunen in Deutschland erneut Umweltzonen ausweiten und Fahrverbote einführen müssen. Um die Feinstaubwerte einzuhalten, müssten zudem Verbote für den Einsatz von Biomasse in Feuerungsanlagen und an industrienahen Messstationen voraussichtlich auch die Nachrüstung oder Einschränkung von Industrieanlagen verordnet werden. Besonders städtische und industriell geprägte Regionen würden davon beeinträchtigt.

Ob die Ausnahmen für die Fristverschiebung genutzt werden können, wird vom finalen Richtlinientext und der nationalen Umsetzung abhängen.

Historische Entwicklungen

Klagen der Deutschen Umwelthilfe

Um die Einhaltung der Grenzwerte zu erwirken, hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gegen rund 40 Luftreinhaltepläne der Städte geklagt, da die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichend seien. In NRW liefen unter anderem Klagen gegen die Luftreinhaltepläne Düsseldorf, Köln, Essen, Gelsenkirchen, Bonn und Aachen.

In vielen Fällen hat die DUH die Klagen gewonnen oder Vergleiche geschlossen. Viele Luftreinhaltepläne wurden daraufhin überarbeitet.

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat Anfang 2018 nach zahlreichen Einzelentscheidungen örtlicher Verwaltungsgerichte klargestellt, dass Diesel-Verkehrsverbote in Städten in Form einer Umweltzone oder eines Streckenfahrverbots rechtlich möglich sind. Nach dem grundsätzlichen „Ja“ für Diesel-Fahrverbote folgte jedoch ein ebenso deutliches „Aber“: Fahrverbote sind schwerwiegende Eingriffe in Eigentum und Berufsausübung. Daher kommen sie nur dann in Betracht, wenn sie die einzige geeignete Maßnahme darstellen, um die Luftreinhaltungsziele schnellstmöglich einzuhalten. Auch wenn dies der Fall ist, müssen sie ihrerseits verhältnismäßig sein. Zu prüfen sind eine „phasenweise Einführung“ (z. B. zuerst Diesel der Abgasnorm Euro 1 bis 4) sowie entsprechende Übergangsbestimmungen. Zudem müssen wichtige Ausnahmen enthalten sein. Dazu erwähnten die Richter in der mündlichen Urteilsbegründung Ausnahmen für Handwerker und Anwohner.

In einem Urteil aus dem Februar 2020 des Bundesverwaltungsgerichts wurde nun festgehalten, dass Fahrverbote unverhältnismäßig sind, wenn die Grenzwerte in Kürze eingehalten werden. Das BVerwG urteilte: „Wenn nach einer Prognose auf hinreichend sicherer Grundlage der Grenzwert für NO2 in Kürze eingehalten wird, kann ein Verkehrsverbot für Dieselfahrzeuge unverhältnismäßig sein. […] Aus der jüngst in Kraft getretenen Vorschrift des § 47 Abs. 4a BImSchG ergibt sich nichts anderes.“

Das BVerwG-Urteil hat damit die von der Bundesregierung vertretene Auffassung bestätigt, dass Fahrverbote nur in wenigen Ausnahmefällen zulässig seien.

Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes im April 2019

Bezüglich der Verhältnismäßigkeit von Fahrverboten erfolgte im April 2019 eine Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (§47 BImSchG). Dort ist jetzt die Regelvermutung enthalten, dass Diesel-Fahrverbote bei einer geringen Überschreitung des Grenzwertes (zwischen 40 und 50 µg/m3) in der Regel unverhältnismäßig sind. Die Fortschreibung der Luftreinhaltepläne ist bei geringen Überschreitungen jedoch weiterhin nötig, da mit anderen Maßnahmen dafür gesorgt werden muss, dass der Grenzwert für Stickstoffdioxid von 40 µg/m3 ausreichend schnell eingehalten wird.

Gleichzeitig wurde durch die Änderung geregelt, dass bestimmte Fahrzeuge generell von den Fahrverboten ausgenommen sind. Dazu gehören zum einen Euro-6-Diesel sowie Euro-4- und Euro-5-Fahrzeuge, wenn sie im praktischen Betrieb weniger als 270 Milligramm Stickstoffoxide pro Kilometer ausstoßen. Dieser Wert wird im Regelfall nur von Fahrzeugen erfüllt, bei denen eine Hardware-Nachrüstung vorgenommen wurde. Auch Nutzfahrzeuge, deren Nachrüstung öffentlich gefördert wurde (zum Beispiel ÖPNV-Busse, Müllwagen oder Handwerker- und Lieferfahrzeuge), sowie Krankenwagen, Feuerwehr- und Polizeifahrzeuge oder Fahrzeuge von Menschen mit Behinderung wurden von den Fahrverboten ausgenommen. Den Kommunen steht es darüber hinaus frei, weitere Ausnahmen zuzulassen.

Stand: Juni 2024