Neues Kaufrecht seit 1. Januar 2022
Das deutsche Kaufrecht ist mit Wirkung ab dem 1. Januar 2022 reformiert worden. Es gibt zahlreiche neue Regelungen, insbesondere für den Verbrauchsgüterkauf (B2C), aber auch Auswirkungen im B2B-Geschäft. Unternehmen sollten daher zumindest, wenn sie auch an Verbraucher (Privatpersonen) verkaufen, noch 2021 ihre Verträge und AGB entsprechend überarbeiten.
Das Gesetz nimmt sich den Leistungsgegenständen an, die zunehmend prägend für die wirtschaftliche Entwicklung sind: Die Werkzeuge der Digitalisierung. Davon umfasst sind digitale Dienstleistungen, digitale Inhalte und Waren mit digitalen Elementen. Die Reform bezweckt einen möglichst weiten Anwendungsbereich auf sämtliche Inhalte, Dienste und Waren mit digitalen Bezügen.
Die wichtigsten Elemente sind
- die Einführung einer Ware mit digitalem Inhalt in den §§ 475b ff. BGB-neu inklusive einer Aktualisierungspflicht
- die Neuregelung des Sachmangelbegriffs in § 434 BGB-neu,
- allgemeine Änderungen im Verbrauchsgüterkaufecht,
- die Verlängerung der Beweislastumkehr in § 477 BGB-neu und
- neuer Vertragstyp für digitale Produkte in den §§ 327 ff. BGB-neu.
Aktualisierungspflicht: Neuer digitaler Mangel
Die weitreichendsten Änderungen ergeben sich durch die Einführung der §§ 475 b ff. BGB-neu durch die Warenkauf-Richtlinie. Die „Ware mit digitalen Elementen“ stellt eine neue Sachkategorie dar. Die Regelungen finden jedoch nur bei Verbraucherverträgen Anwendung. Hinzukommen verbraucherrechtliche Sonderbestimmungen hinsichtlich Mangelfreiheit, Rücktritt, Schadensersatz und Verjährung.
Nach der Definition in § 327 a Abs. 3 BGB-neu ist eine Ware mit digitalen Elementen eine Sache, die in einer solchen Weise digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen enthält oder mit ihnen verbunden ist, dass sie ihre Funktionen ohne diese digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht erfüllen kann. Ist das digitale Element also entscheidend für die Funktionsfähigkeit des Produkts, ist es künftig integraler Bestandteil der Kaufsache.
Typische und naheliegende Beispiele sind etwa Smartphones oder Tablets, Smartwatches und smarte Fernseher. Allerdings lassen sich je nach Produkt auch moderne Kfz sowie digitale Haushaltsgeräte, Saugroboter und Spielekonsolen als digitales Produkt verstehen, sodass die Regelungen einen enormen Anwendungsbereich haben.
Unternehmer sind künftig verpflichtet, für den Zeitraum der üblichen Nutzungs- und Verwendungsdauer des Produkts den Verbraucher über Aktualisierungen zu informieren und diese bereitzustellen („Aktualisierungspflicht“, § 475 b Abs. 4 BGB-neu). Dadurch wird der (Verbrauchsgüter-)Kaufvertrag teilweise zu einem Dauerschuldverhältnis. Umgekehrt entfällt die Haftung des Unternehmens für Mängel, die auf das Fehlen der Aktualisierung zurückzuführen sind, wenn der Verbraucher das ordnungsgemäß bereitgestellte Updates nicht installiert. Der Verbraucher ist selbst verantwortlich, wenn er Aktualisierungen nicht oder nicht sachgemäß installiert – allerdings muss ihn der Verkäufer auch über Folgen der fehlenden Installation informiert haben.
Wenn der Unternehmer seiner Aktualisierungspflicht nicht nachkommt, ist die Ware mangelhaft. Die Aktualisierungspflicht soll sicherstellen, dass die Technik auch dann noch funktioniert, wenn sich das digitale Umfeld ändert. Dabei geht es auch um die Sicherheit von smarten Geräten, die durch Sicherheits-Updates vor einem unberechtigten Zugriff Dritter auf Daten oder Funktionen geschützt werden sollen.
Nicht abschließend geklärt ist die Frage, wie lange eine solche Aktualisierungspflicht besteht. Für die subjektiven Anforderungen kommt es darauf an, was der Vertrag vorgibt. In Bezug auf objektiv geschuldete Aktualisierungen nennt § 475 b Abs. 4 Nr. 2 BGB n. F. den Zeitraum, den der Verbraucher „aufgrund der Art und des Zwecks der Ware und ihrer digitalen Elemente sowie unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags erwarten kann“. Was genau derart objektivierte Verbrauchererwartungen bedeuten, wird weder im Gesetz noch in der zugehörigen Begründung konkretisiert.
Nach den Vorstellungen des Richtliniengebers entspricht der vom Verbraucher erwartete Zeitraum grundsätzlich mindestens der Zeitspanne, während derer der Verkäufer für Mängel haftet. Diese entspricht in Deutschland (auch in Zukunft) der Verjährung von Mängelansprüchen beim Verbrauchsgüterkauf - typischerweise also zwei Jahre. Gerade bei sicherheitsrelevanten Aktualisierungen könne der Zeitraum aber auch größer sein.
Die Dauer der Aktualisierungspflicht kann auch vertraglich vereinbart werden: Dafür muss der Verbraucher jedoch vor Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt werden und ausdrücklich und gesondert zustimmen. Dafür können sich bei einem automatisierten Vertragsschluss zum Beispiel „Klickboxen“ anbieten.
Da der Verkäufer häufig nicht selbst die Aktualisierungen bereitstellt, sondern dafür auf den Hersteller des Produkts angewiesen ist, müssen auch die vertraglichen Regelungen mit dem Hersteller/Lieferanten geprüft werden.
Ein neuer Vertragstyp für digitale Inhalte in § 327 ff BGB – neu
Liegt keine qualifizierte Verbindung zwischen der Ware und dem digitalen Element vor, bestimmt sich die Mangelfreiheit des digitalen Elements nach den neuen §§ 327d ff. BGB. Diese ergeben sich aus der Umsetzung der Schwesterrichtlinie der Warenkauf-Richtlinie, der Digitale-Inhalte-Richtlinie. Ihre beiden Anwendungsbereiche greifen wie folgt ineinander:
Während die Warenkauf-Richtlinie Veränderungen für klassische Kaufverträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern vornimmt (Verbrauchsgüterkaufverträge) und daher beim Verkauf von Waren, d. h. beweglichen körperlichen Gegenständen, zur Anwendung gelangt, geht es in der Digitale–Inhalte-Richtlinie um rein digitale Inhalte und Dienstleistungen. Wichtig wird die Abgrenzung der beiden Richtlinien vor allem dann, wenn digitale Elemente mit Waren verbunden oder in ihnen enthalten sind und so zum Verkauf angeboten werden. Solche sollen von der Warenkauf-Richtlinie erfasst werden, wenn die Waren ihre Funktionen ohne die digitalen Elemente nicht erfüllen können. Davon umfasst sind beispielsweise das Streamen oder Downloaden von Online-Videos, Filmen, E-Books, Spielen oder Musik oder auch die Bereitstellung über DVDs oder USB-Sticks.
Für den Verbrauchsgüterkauf einer Ware, die zwar digitale Produkte enthält oder mit diesen verbunden ist, ihre Funktion aber auch ohne sie erfüllen kann, finden für die Ware das Kaufrecht und für die digitalen Produkte das Recht der Verträge über digitale Produkte in § 327 ff. BGB-neu Anwendung.
Der § 327 b BGB regelt die Erfüllung der Leistungspflicht hinsichtlich der Bereitstellung. Aus § 327 c BGB ergeben sich die Rechte des Käufers bei unterbliebener Bereitstellung. Die Gewährleistungsrechte sind in §§ 327 i – 327 n BGB normiert.
Der neue Sachmangelbegriff
Eine weitere gewichtige Änderung betrifft die Neuregelung des Sachmangelbegriffs.
Dieser wird neu definiert. Anders als bisher reicht es für die Mangelfreiheit der Kaufsache nicht mehr aus, wenn die Sache einer von den Vertragsparteien vereinbarten Beschaffenheit entspricht. In Zukunft muss sie immer auch den objektiven (branchenüblichen) Anforderungen und den Montageanforderungen genügen. Eine Sache kann also auch mangelhaft sein, obwohl sie die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit hat.
Es kommt zunächst auf die Vereinbarung der Parteien an. Den subjektiven Anforderungen entspricht die Sache dann, wenn sie (kumulativ)
- die vereinbarte Beschaffenheit hat,
- sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und
- mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen, übergeben wird.
Den objektiven Anforderungen entspricht die Sache, wenn sie
- sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und
- die übliche Beschaffenheit aufweist.
Die objektiven Anforderungen stehen den subjektiven Anforderungen gleichrangig gegenüber.
Zudem muss die Sache auch den Montageanforderungen entsprechen, das heißt, eine Montage (soweit erforderlich) muss sachgerecht durchgeführt worden sein, oder eine unsachgemäße Montage darf nicht auf einer unsachgemäßen Montage durch den Verkäufer oder einem Mangel der Montageanleitung beruhen.
Künftig kommt es durch die Umsetzung der beiden Richtlinien daher zu einer Vierteilung des Mängelrechts beim Kaufvertrag:
- Für einfache analoge Kaufgegenstände bestimmt sich die Mangelfreiheit nur nach § 434 BGB-neu.
- Für Waren mit digitalen Elementen gilt ebenfalls § 434 BGB-neu, ergänzt um die neuen Regeln im Verbrauchsgüterrecht (siehe oben).
- Wenn keine qualifizierte Verbindung zwischen der Sache und dem digitalen Element vorliegt, bestimmt sich die Mangelfreiheit des digitalen Elements nach den §§ 327 d ff. BGB-neu und die des Rests der Ware nach § 434 BGB-neu.
- Bei „rein“ digitalen Elementen finden §§ 327d ff. BGB-neu Anwendung.
Eine zentrale Frage wird daher in Zukunft sein, welches Mängelrecht Anwendung findet und welche Gewährleistungsrechte damit einschlägig sind.
Allgemeine Änderungen im Verbrauchsgüterkaufvertrag
- Fristsetzungserfordernis
Bei Verbrauchergeschäften entfällt hinsichtlich der Geltendmachung von Schadensersatz und Rücktritt das Erfordernis der Fristsetzung zur Nacherfüllung. Bereits mit der Mitteilung des Mangels durch den Verbraucher an den Unternehmer beginnt eine (fiktive) angemessene Frist zu laufen.
Die Auswirkungen dieser vielleicht auf den ersten Blick eher unscheinbar wirkenden Verschärfung des Gewährleistungsrecht können erheblich sein: Ein Kfz-Händler zum Beispiel, der sich mit der Bearbeitung der Reklamation wegen eines überschaubaren Sachmangels zu lange Zeit lässt, läuft nunmehr Gefahr, dass er den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des gebrauchten Pkw zurückzahlen muss. - Mangelkenntnis des Käufers
Auch wird § 442 BGB – Mangelkenntnis des Käufers – bei Verbrauchsgüterkäufen nicht mehr gelten.
Aufgrund der neuen Regelungen im Verbrauchsgüterkaufrecht hat der Gesetzgeber die Vorschrift nun für Verbraucher als nicht anwendbar befunden. Dies ist folgerichtig, da angesichts des neuen Mangelbegriffs sowohl die subjektiven als auch die objektiven Anforderungen an die Mängelfreiheit gewährleistet sein müssen. Wenn eine individuelle Vereinbarung für die Mangelfreiheit nicht ausreicht, gilt dies folgerichtig auch für die Kenntnis eines Verbrauchers vom Sachmangel.
Für die Praxis bedeutet dies, dass es anders als bisher zum Beispiel bei B-Ware oder Ausstellungsstücken nicht mehr reicht, Abweichungen wie etwa Gebrauchsspuren, Kratzer o.ä. über die Produktbeschreibung oder Ausschilderung der Ware zu vereinbaren. Der Kunde muss künftig „eigens“ in Kenntnis gesetzt werden und die Abweichung muss ausdrücklich und gesondert vereinbart werden. Im E-Commerce kann sich dafür eine Klickbox anbieten. - Beweislastumkehr
Eine weitere Stärkung des Verbrauchers ergibt sich aus der Verlängerung der Beweislastumkehr. Tritt künftig innerhalb eines Jahres ab Übergabe der Sache ein Mangel auf, wird zugunsten des Verbrauchers vermutet, dass dieser von Anfang an vorlag. Bisher waren dies nur sechs Monate. - Verjährungsfristen
Auch ändern sich die Verjährungsfristen für Mängelansprüche bei Verbrauchsgüterkäufen. Bei einem Mangel, der sich innerhalb der regulären Gewährleistungsfrist gezeigt hat, tritt die Verjährung erst vier Monate nach dem Zeitpunkt ein, in dem sich der Mangel erstmals gezeigt hat. Wenn sich also bei einem gekauften PC erst im 23. Monat der Mangel zeigt, kann der Verbraucher seine Ansprüche beispielsweise noch bis zum 27. Monat nach Lieferung geltend machen. Das Problem: Für den Unternehmer ist kaum nachprüfbar, wann der Mangel sich tatsächlich gezeigt hat.
Darüber hinaus sieht das Gesetz eine Ablaufhemmung vor, wenn der Unternehmer während der Verjährungsfrist einem geltend gemachten Mangel durch Nacherfüllung abhilft. In diesem Fall tritt die Verjährung von Ansprüchen wegen des geltend gemachten Mangels erst nach Ablauf von zwei Monaten nach dem Zeitpunkt ein, in dem die nachgebesserte oder ersetzte Ware dem Verbraucher übergeben wurde.
Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass der Verbraucher nach Rückerhalt der Sache prüfen kann, ob durch die Nacherfüllung dem geltend gemachten Mangel abgeholfen wurde. Sichergestellt wird zudem, dass die Verjährung nicht abläuft, während sich die Kaufsache zur Nacherfüllung beim Unternehmer befindet.
Übergangsvorschriften
Doch welche Regelungen gelten für Altverträge?
Auf einen Kaufvertrag, der vor dem 1. Januar 2022 geschlossen worden ist, sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der bis einschließlich 31. Dezember 2021 geltenden Fassung, also das „alte Recht“, anzuwenden.
Auf Verbraucherverträge über die Bereitstellung digitaler Produkte, die vor dem 01.01.2022 geschlossen wurden, bei denen die Bereitstellung des digitalen Produkts jedoch erst ab dem 01.01.2022 erfolgt, ist überwiegend das neue Recht anzuwenden.
Ausblick und To-Dos für Unternehmer
Die Umsetzung der Richtlinie führt zu weitgehenden Änderungen im geltenden Recht.
Unternehmen, die an Verbraucher verkaufen, ist zu raten, die Verträge und Allgemeinen Geschäftsbedingungen anzupassen. Das gilt auch für Online-Shops.
Als Verkäufer sollten Sie überlegen, an welchen Stellen Sie Gestaltungsrechte nutzen können (bzw. müssen). In Betracht kommen zum Beispiel eine Vereinbarung über die Dauer der Aktualisierungspflicht oder Vereinbarungen über Abweichungen des Produkts vom objektiven Standard. Im E-Commerce werden sich dafür Klickboxen anbieten.
Wenn Sie nicht Hersteller der Ware sind, sollten Sie auch Ihre Verträge mit dem Lieferanten/Hersteller überprüfen, um einen Gleichlauf Ihrer Pflichten gegenüber Ihren Kunden und Ihrer Rechte gegenüber Ihrem Lieferanten herzustellen.
Um Rechtsnachteile zu vermeiden, sollten die notwendigen Maßnahmen bis zum Inkrafttreten des neuen Kaufrechts am 1. Januar 2022 umgesetzt werden.
Gleichzeitig muss für das Gewährleistungs-Management bedacht werden, dass Alt-Verträge nach den alten Regeln behandelt werden müssen.