Verbraucherklage: Neue Abhilfeklage für Verbraucher (VDuG)
Am 8. Oktober 2023 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz — VRUG) beschlossen und am 12. Oktober 2023 im Bundesgesetzblatt verkündet. Hintergrund ist der am 7. Juli 2023 verabschiedete überarbeitete Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BT Drs. 20/7631), der die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie (RL (EU) 2020/1828) betrifft. Obwohl die Frist zur Umsetzung gemäß der EU-Richtlinie am 25. Juni 2023 abgelaufen war, wurde das Gesetz aufgrund bestehender Meinungsverschiedenheiten im Parlament zu einigen Punkten erst am 7. Juli 2023 verabschiedet.
Ein wichtiger Bestandteil der Umsetzung ist die Einführung des Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetzes (VDuG). Dieses Gesetz sieht neben der bereits bekannten Musterfeststellungsklage die Einführung einer sogenannten Abhilfeklage als neue Form der Verbandsklage vor, die die Bündelung ähnlicher Rechtsansprüche einer Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern in einer einzigen Klage ermöglichen soll.
Die Abhilfeklage als Reform bisheriger Klageverfahren
Die Einführung der Abhilfeklage bringt eine kollektive Leistungsklage mit sich, die darauf abzielt, die tatsächliche Durchsetzung der Ansprüche von Verbraucherinnen und Verbrauchern sicherzustellen. Individuelle Klagen einzelner Verbraucherinnen und Verbraucher sind nicht mehr notwendig.
In Deutschland existiert bereits die Musterfeststellungsklage für Verbraucher als ein Instrument zur gemeinschaftlichen Prozessführung bei ähnlichen Beschwerden von Verbrauchern gegen Unternehmen. Dieses Verfahren führt jedoch nicht bereits zu einem vollstreckbaren Titel. Es stellt lediglich die Rechtsansprüche der Verbraucher fest (oder auch nicht), und Verbraucher müssen ihre individuellen Ansprüche nachfolgend separat vor Gericht geltend machen. Dies soll sich mit der Einführung der neuen Abhilfeklage ändern.
Durch sie erhalten Verbraucherinnen und Verbraucher schneller Zugang zu ihrem Recht. Im Falle eines Erfolgs erhalten sie die geschuldeten Gelder bereits im Rahmen der Abhilfeklage und müssen nicht erneut vor Gericht ziehen. Gleichzeitig wird die Justiz von einer Vielzahl einzelner Klagen entlastet. Unternehmen wiederum erhalten die notwendige Rechtssicherheit, da sie frühzeitig Informationen darüber bekommen, mit wie vielen Betroffenen verhandelt wird und wie hoch die Gesamtsumme der Ansprüche ist.
Anwendungsbereich
Die neue Abhilfeklage wurde als eine Form der Verbandsklage konzipiert und ermächtigt, ähnlich wie bei der Musterfeststellungsklage, nur bestimmte zugelassene Verbraucherschutzverbände zur Klageerhebung, insbesondere aus den Bereichen Umweltschutz, Verbraucherschutz, Datenschutz und Gesundheitsschutz (§ 1 VDuG).
Um die Abhilfeklage einzureichen, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, wie in den §§ 14 und 15 des VDuG festgelegt. Die Klage setzt voraus, dass Verbraucheransprüche in einer Vielzahl von Fällen „im Wesentlichen gleichartig“ sind, was eine vereinfachte Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht durch das Gericht ermöglichen soll. Dies könnte in der Praxis zu gewissen Abgrenzungsproblemen führen bei der Frage, was „im Wesentlichen gleichartig“ bedeutet.
Besonders bedeutsam ist, dass der Anwendungsbereich des VDuG weitaus umfassender ist als von der EU-Verbandsklagenrichtlinie gefordert. Das Verfahren ist nicht nur für Verbraucherinnen und Verbraucher zugänglich, sondern auch für kleine Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanz von weniger als 2 Millionen Euro, sofern der Rechtsstreit ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse „gleichermaßen“ betrifft.
Eine weitere wichtige Unterscheidung besteht darin, dass die Abhilfeklage nach dem VDuG nicht nur zur Durchsetzung von EU-Verbraucherrechten dient. Dies bedeutet, dass Klagen nicht nur im Bereich des Verbraucher- und Bankrechts, sondern beispielsweise auch im Zusammenhang mit den vielfältigen Haftungsfragen im Bereich der ESG-Compliance möglich sind. Zudem erlaubt die Abhilfeklage nicht nur Zahlungsanträge, sondern auch Anträge auf Verurteilung zu anderen Leistungen, wie beispielsweise die Feststellung eines Rechtsverhältnisses, ähnlich wie bei der bisherigen Musterfeststellungsklage.
Voraussetzungen und Ablauf des Verfahrens
Die Verbandsklage ist gemäß § 4 Abs. 1 VDuG dann zulässig, wenn die klageberechtigte Stelle nachvollziehbar darlegt (ursprünglich war Glaubhaftmachung erforderlich), dass mindestens 50 Verbraucher von den Abhilfeklagen betroffen sind oder die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens 50 Verbrauchern von den Feststellungszielen abhängen.
Die Teilnahme der Verbraucher verläuft nach dem sogenannten Opt-In-Verfahren. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen aktiv beitreten, jedoch kann dies in Textform, ohne anwaltliche Vertretung, kostenlos und sogar noch bis zu drei Wochen nach Abschluss der mündlichen Verhandlung erfolgen.
Ähnlich wie bei der Musterfeststellungsklage wird ein Klageregister eingerichtet, das für Verbandsklagen beim Bundesamt für Justiz elektronisch geführt wird (§ 43 VDuG). Verbraucher haben die Möglichkeit, ihre Ansprüche zur Eintragung in das Verbandsklageregister anzumelden (§ 46 VDuG). Dies gewährleistet eine klare Dokumentation der Ansprüche und sorgt für Transparenz im Verfahren. Verbraucherinnen und Verbraucher haben bis zu drei Wochen nach Abschluss der mündlichen Verhandlung Zeit, ihre Ansprüche im Verbandsklageregister anzumelden.
Gemäß dem neuen § 204a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB-E) führt die Einreichung einer Verbandsklage zur Hemmung von Ansprüchen von Verbrauchern und Kleinunternehmen. Die Hemmung der Verjährung endet 6 Monate nach dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher nicht mehr an der Klage teilnimmt.
Grundsätzlich ist die Finanzierung der Verbandsklage durch Dritte erlaubt. Die Verbandsklage ist jedoch unzulässig, wenn sie von einem Dritten finanziert wird, der:
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ein Wettbewerber des verklagten Unternehmers ist,
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von dem der verklagte Unternehmer abhängig ist oder
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von dem eine Beeinflussung der klageberechtigten Stelle zu Lasten der Verbraucher zu befürchten ist, gemäß § 4 Abs. 2 VDuG.
Zudem ist die Vergabe eines wirtschaftlichen Anteils am Verfahrenserfolg von mehr als 10 Prozent unzulässig, mit Ausnahmen für Gewinnabschöpfungsklagen nach § 10 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).
Die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Abhilfeklage liegt nach § 22 VDuG beim Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das beklagte Unternehmen seinen Sitz hat. Diese Regelung soll dazu beitragen, die Instanzgerichte erheblich zu entlasten.
Das gerichtliche Verfahren ist gemäß §§ 16 ff. VDuG in drei Phasen unterteilt:
- In der ersten Phase prüft das Gericht die Berechtigung der erhobenen Ansprüche dem Grunde nach. Bei eindeutig negativem Ergebnis erfolgt sofort die Klageabweisung.
- In der zweiten Phase sind die Parteien aufgefordert, eine gütliche Einigung anzustreben. Hierbei besteht die Möglichkeit, einen Vergleich auf Basis des ergangenen Grundurteils zu schließen. Der geschlossene Vergleich ist im Zweifel für die im Verbandsklageregister angemeldeten Verbraucher bindend. Ein solcher Vergleich bedarf in der Regel der Genehmigung des Gerichts (§ 9 VDuG). Jeder im Verbandsklageregister angemeldete Verbraucher kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Vergleichs im Verbandsklageregister seinen Austritt aus dem Vergleich erklären (§ 10 VDuG).
- Scheitern die Vergleichsgespräche, wird das Verfahren fortgesetzt, und das Gericht entscheidet durch ein Abhilfeendurteil.
Der Sachwalter
Das Abhilfeendurteil kann gegebenenfalls die Verurteilung des beklagten Unternehmens zur Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags zur Erfüllung der berechtigten Ansprüche der Teilnehmer durch einen gemäß § 23 VDuG zu bestellenden Sachwalter enthalten (§ 18 Abs. 2 VDuG). Das Gericht bestimmt die Höhe dieses Betrags nach freier Überzeugung unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände (§ 19 VDuG).
Nach Erlass eines Urteils prüft der Sachwalter die Ansprüche, die von Verbrauchern im Rahmen des Abhilfeverfahrens angemeldet wurden (§§ 22 ff. VDuG).
Der Sachwalter richtet gemäß § 25 VDuG einen Umsetzungsfonds ein. Er prüft die individuelle Anspruchsberechtigung und kann hierzu auch Nachweise und Erklärungen anfordern. Berechtigte Verbraucheransprüche werden vom Sachwalter erfüllt, § 27 VDuG. Sollte der Sachwalter feststellen, dass der vom Gericht festgelegte kollektive Gesamtbetrag zur Befriedigung der berechtigten Ansprüche nicht ausreicht, kann das Gericht auf Antrag der klageberechtigten Stelle diesen Betrag nachträglich angemessen erhöhen.
Verbrauchern, deren Ansprüche abgelehnt wurden, bleibt die Möglichkeit, ihre individuellen Ansprüche im Rahmen eines eigenen gerichtlichen Verfahrens selbstständig geltend zu machen.
Entscheidungen des Sachwalters können von betroffenen Verbrauchern innerhalb von vier Wochen angefochten werden, indem sie schriftlichen Widerspruch einlegen und diesen begründen (§ 28 VDuG). Die daraufhin getroffene Widerspruchsentscheidung des Sachwalters unterliegt keiner gerichtlichen Überprüfung. Sollte der Sachwalter die Ansprüche eines Verbrauchers ablehnen, steht dem Verbraucher die Möglichkeit offen, eine individuelle Klage gegen das Unternehmen zu erheben.
Das Umsetzungsverfahren endet mit einer Schlussrechnung und einem Schlussbericht des Sachwalters, die vom Gericht überprüft werden. Sollte es gerichtliche Beanstandungen geben, ist der Sachwalter verpflichtet, diesen nachzukommen. Erst wenn alle gerichtlichen Beanstandungen behoben sind, stellt das Gericht die Beendigung des Umsetzungsverfahrens fest (§ 36 VDuG).
Fazit
Mit der Umsetzung der Verbraucherrichtlinie beziehungsweise der Einführung der Abhilfeklage wirkt die Bundesregierung der Kritik am Konzept der Musterfeststellungsklage entgegen, indem sie die Notwendigkeit eines weiteren Prozesses zur Rechtsdurchsetzung nach Aburteilung entfallen lässt. Die geringen Hürden für einen Verfahrensbeitritt und die Anspruchsdurchsetzung sollten ein Grund für Unternehmen sein, sich mit den prozessualen Neuerungen auseinanderzusetzen, um keine Angriffsfläche für mögliche Verbandsklagen zu bieten.