„Ich vermisse politische Führung“
Russlands Krieg gegen die Ukraine, die Konfrontation von China und den USA sowie die Krise der deutschen Wirtschaft – die Frage, wie das alles zusammenhängt, hat im Fokus des Wirtschaftsforums „Impulse“ der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein und der Rheinischen Post gestanden. Prof. Dr. Carlo Masala war zu Gast in den Räumen von Mercedes-Benz Herbrand. Der Sicherheitsexperte und Professor an der Universität der Bundeswehr in München versprach, Antworten auf drei Fragen zu geben: Was erleben wir gerade? Was kommt auf uns zu? Und: Wie gut sind wir darauf vorbereitet?
Zur Einstimmung der Gäste holte Moderator Moritz Döbler, Chefredakteur der Rheinischen Post, den IHK-Präsidenten Elmar te Neues und IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz auf die Bühne. Der IHK-Präsident berichtete, wie angespannt die Situation vieler Betriebe am Niederrhein ist: „Die Unternehmen leiden unter bürokratischen Lasten, zu hohen Energiekosten und Fachkräftemangel. Wir brauchen Reformen, die unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken. Es ist genug geredet worden. Wir erwarten konkrete Schritte“, appellierte te Neues. „Als es uns gut ging, hat die Politik ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Es gab in den 2010er-Jahren kein Interesse an Strukturreformen – und das rächt sich jetzt“, ergänzte Steinmetz. „Wir haben es mit einer strukturellen Krise zu tun, die lange vor den geopolitischen Verwerfungen angelegt war.“
Wie die Folgen des globalen „Kampfs um eine neue Weltordnung“ und die damit verbundenen Polykrisen das deutsche Export-Geschäftsmodell gefährden, führte Masala dem Publikum eindrucksvoll vor Augen. „China und Russland wollen die militärische und wirtschaftliche Dominanz der USA brechen“, erläuterte der Experte. „Zwei Lager haben sich herausgebildet: Auf der einen Seite Staaten, die die bisherige Ordnung bewahren wollen, auf der anderen revisionistische Mächte, die alles ändern wollen.“ Die häufig beschworene künftige multipolare Weltordnung werde im Wesentlichen eine bipolare Ordnung sein, prophezeite Masala: China auf der einen, die USA auf der anderen Seite. Diese Konfrontation spiele bei viele Konflikten und Kriegen weltweit eine mehr oder weniger große Rolle.
„Deutschland hat von der Globalisierung profitiert wie kaum eine andere Volkswirtschaft. Jetzt erleben wir die Schattenseiten der Globalisierung“, sagte Masala. „Denn wir sind von allen Krisen der Welt betroffen.“ Als ein Beispiel beschrieb er, wie die Angriffe der Huthi-Rebellen im Jemen auf Schiffe im Roten Meer Lieferketten unterbrochen und viele Güter extrem verteuert haben. Dazu komme eine inzwischen gefährliche Abhängigkeit von China, so der Sicherheitsexperte, etwa in den Bereichen Computer-Chips, seltene Erden und Pharmazie. Gleichzeitig habe die deutsche Industrie im Wettbewerb mit der chinesischen inzwischen deutlich an Boden verloren, so Masala. In vielen Technologiesektoren sei Deutschland inzwischen abgehängt, weitere könnten folgen.
Zum komplizierten Verhältnis zu Peking auf der einen Seite komme auf der anderen hinzu, dass die traditionelle Partnerschaft mit den USA infrage gestellt werde. „Für die Trump-Administration ist die Europäische Union vor allem ein Konkurrent und weniger ein Partner. Ihr wäre es viel lieber, sie könnte mit den einzelnen Mitgliedstaaten verhandeln und nicht mit einem Block, der wirtschaftlich auf Augenhöhe mit den USA ist“, erläuterte Masala. „Die Zollpolitik der USA hat das Ziel, dass Unternehmen Produktion in die Vereinigten Staaten verlagern. Ob das gelingt, ist noch offen. Es gibt aber Anzeichen, dass Trump Erfolg haben könnte.“
Ein deutscher Weg aus dem Dilemma ist für Masala der Schulterschluss mit all denjenigen Staaten, die sich weder auf die Seite Chinas noch der USA schlagen möchten. „Mit diesen Ländern müssen wir ins Geschäft kommen und Freihandelsabkommen aushandeln – aber auf Augenhöhe als gleichberechtigte Partner“, sagte er. „Dabei müssen wir auch akzeptieren, dass Teile unserer Wirtschaft benachteiligt werden könnten.“
Der Professor der Universität der Bundeswehr warnte davor, dass die USA zunehmend sicherheitspolitische Fragen an wirtschaftliche Bedingungen knüpfen: „Einfach ausgedrückt: Die USA erwarten, dass ihre Partner künftig für den Schutz durch die USA bezahlen“, führte er aus. „Gleichzeitig haben wir große Fähigkeitslücken. Beispielsweise ist die Luftverteidigung in Europa nicht ausreichend.“
Mit dem Blick auf die russische Invasion in der Ukraine, kommentierte Masala: „Die Situation ist dramatisch. Das kann man nicht klein reden. Putins Absichten sind klar: Russland will seine Nachbarstaaten dominieren und kontrollieren – auch mit militärischen Mitteln. Es geht um das Baltikum, Rumänien und andere Staaten.“ Russlands Sieg wäre eine Katastrophe für die europäische und globale Sicherheitsordnung. Masala: „Die Botschaft wäre: Die beiden reichsten Blöcke der Welt – die USA und die EU – sind nicht in der Lage, ein Land so zu versorgen, dass es sich gegen die Aggression Russlands wehren kann. Was spricht dann noch gegen einen Angriff auf Taiwan?“
Folgerichtig sei der Prozess der Aufrüstung in Europa dringend notwendig. „Sorgen macht mir, dass wir immer noch im Friedensmodus agieren. Das können wir uns nicht mehr leisten“, warnte Masala und erinnerte daran, dass der Bau der LNG-Terminals 2022 gezeigt habe, welches Tempo möglich wäre. „Aber leider gilt noch immer: Die deutsche Bürokratie hat mehr Angst vor dem Bundesrechnungshof als vor den Streitkräften der Russischen Föderation.“
Die Kernfrage sei, ob Deutschland als wirtschaftlich führende Macht der EU sicherheitspolitisch Verantwortung übernehmen will. „Wir müssen das Bewusstsein dafür schaffen, dass wir einen Preis für unsere gesellschaftliche Resilienz zahlen müssen“, sagte Masala. „Viele Menschen haben erkannt, dass das notwendig ist, und sind bereit für Veränderungen. Aber: Ich vermisse die politische Führung für diesen Wandel.“
Ansprechpartner zum Thema
Kontakt-
Gregor Werkle
Bereichsleiter Wirtschaftspolitik
-
Lutz Mäurer
Bereichsleiter Öffentlichkeitsarbeit
Webcode: N154